Triebfahrzeug Reihe 1016/1116 Taurus


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  Baujahr   2000-2006
  Achsfolge   Bo'Bo'
  Antriebsleistung   6400 kW
  Höchstgeschwindigkeit   230 km/h
  Gesamtgewicht   86 t
  Länge über Puffer   19280 mm

 

 

 

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1 Einleitung

 

Im Jahr 1993 wurde mit der Inbetriebsetzung des EuroSprinters ein wesentlicher Schritt in der Entwicklung von Universalhochleistungslokomotiven gemacht, welcher mit der Baureihe (BR) 152 der Deutschen Bahn (DB) und jetzt mit der Einfrequenzlokomotive Reihe (Rh) 1016 und Zweifrequenzlokomotive Rh 1116 der Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) weitergeführt wurde. Der Beschaffungsprozess der Rh 1016/ 1116 wurde einerseits durch die von der Europäischen Union geforderte internationale Ausschreibung, andererseits durch die von der neuen Unternehmensführung der ÖBB eingeführte Projektstruktur massiv beeinflusst. Die internationale Ausschreibung erzeugte einen Konkurrenzdruck, der den Stückpreis auf ein Niveau drückte, welches neue Prozesse in der Entwicklung, Produktion und Montage von Lokomotiven unabdingbar machte. Die technische Ausschreibung auf Basis eines funktionalen Lastenheftes gewährte dem Auftragnehmer die erforderlichen Gestaltungsfreiräume.

 

 

2 Elektrische Ausrüstung

 

2.1 Allgemeines

 

Der elektrische Teil des Fahrzeugs besteht aus bewährten Komponenten der Siemens Verkehrstechnik wie Steuerungssystem SIBAS " 32, wassergekühlten Traktionsstromrichtern und luftgekühlten Hilfsbetriebeumrichtern. Die Komponenten Haupttransformator, Antrieb und Bremssystem der Rh 1016/1116 wurden gegenüber dem Erprobungsträger EuroSprinter und der Güterzuglokomotive BR 152 der DB weiterentwickelt. Hauptstromschaltung, Traktionsstromrichter und Hilfsbetriebeumrichter wurden bis auf geringe Modifizierungen von der BR 152 übernommen. Dabei wurden wesentliche Komponenten in Labortests eingehend erprobt und eine weitere Zuverlässigkeitssteigerung erreicht. Der voll abgefederte Hochleistungsantrieb mit separater Bremswelle (HAB) zeichnet sich durch seinen einfach strukturierten Aufbau und den damit verbundenen niedrigen Instandhaltungsaufwand aus. Das Antriebsprinzip wurde im Erprobungsträger EuroSprinter für den Einsatz bei der Rh 1016/1116 erprobt und durch das deutsche Eisenbahn Bundesamt (EBA) zugelassen.

 

 

2.2 Elektrisches Antriebskonzept

 

Das elektrische Antriebskonzept der Rh 1016/1116 besteht aus Stromrichtern mit Gleichspannungszwischenkreis und Drehstrom-Asynchronfahrmotoren. Sechs Sekundärwicklungen des Haupttransformators stellen die Eingangsspannung für die sechs Eingangsstromrichter zur Verfügung, die als Vierquadrantensteller (4QS) ausgeführt sind. Das Schaltungskonzept ist mit Einzelachsregelung ausgeführt. Dazu wird jeder Fahrmotor durch einen Pulswechselrichter (PWR) gespeist.

Die Zweifrequenzvariante Rh 1116 besitzt zusätzlich eine sekundärseitige Systemumschaltung. Diese Einrichtung schaltet je nach Fahrleitungsspannung die entsprechenden Teilwicklungen des Transformators an die Eingänge des Stromrichters. Die Umschaltglieder sind Bestandteil des Stromrichters. Ansonsten sind die Traktionstromrichter und Antriebe von Ein- und Zweifrequenzvariante identisch.

 

 

2.3 Dachausrüstung

 

Die Dachausrüstung besteht aus zwei gleichen, Stromabnehmern mit 1950 mm breiten Wippen für den Betrieb in Österreich und Deutschland. Oberspannungswandler, Vakuumhauptschalter, Erdungsschalter und Überspannungsableiter sind ebenfalls auf dem Dach angeordnet. Der Überspannungsableiter schützt das Fahrzeug vor Blitz- und Schaltüberspannungen und wurde speziell für den Einsatz auf Fahrzeugen konzipiert.

Für eventuelle spätere Aufrüstung zu RH 1116 ist auch bei den Lokomotiven Rh 1016 die Dachausrüstung für 25 kV bemessen.

 

 

2.4 Haupttransformator

 

Der Hauttransformator ist als Einphasen-Öltransformator für die Unterflurmontage ausgelegt und in die Mitte der Lokomotive angeordnet. Er beinhaltet die primärseitige Hochspannungswicklung, die sechs Sekundärwicklungen für die Traktion, je eine Wicklung für 1000 V zur Versorgung der Zugsammelschiene, 344 V für die Hilfsbetriebeumrichter und 200 V für die Bordstromversorgung sowie die beiden Saugkreisdrosseln in einem gemeinsamen Kessel. Die Einspeisung der Oberspannung ist außen am Transformator an einer Längsseite angebracht. Alle Sekundär- und Drosselanschlüsse sind auf dem Transformatordeckel so platziert, dass sie direkt nach oben in den Anschlussraum im Traktionsstromrichter ragen. Als Isolier- und Kühlmedium wird Mineralöl eingesetzt, welches von zwei außen am Kessel angebauten Pumpen zu den beiden Kühlanlagen gefördert wird. Als Schutz- und Überwachungsgerät für den Transformator ist ein Buchholzrelais in der Rohrleitung zwischen Transformator und Ausdehnungsgefäß angebracht.

Der Haupttransformator der Rh 1116 ist im Unterschied zur Rh 1016 für die Zweifrequenzausführung auch für 25 kV ausgelegt. Analog zu den Traktionswicklungen sind auch die Wicklungen für die Hilfsbetriebe, Zugheizung, 200-V-Versorgung sowie für die Saugkreisdrosseln mit zusätzlichen Abgriffen versehen. Je nach vorhandener Primärspannung wird mittels Umschaltern, die im Maschinenraum untergebracht sind, die Sekundärspannung auf jeweils gleichem Niveau gehalten. Beim Betrieb mit 25 kV 50 Hz kann die Zugsammelschiene sowohl mit 1000 V als auch mit 1500 V gespeist werden.

 

 

2.5 Fahrmotor und Antrieb

 

Die Lokomotiven Rh 1016/1116 sind mit einem HAB-Antrieb für den Hochgeschwindigkeitsverkehr ausgerüstet. Fahrmotor und Antrieb sind für beide Baureihen identisch. Bei dem HAB-Antrieb handelt es sich um einen voll abgefederten Antrieb, der speziell für schnellfahrende Triebköpfe und Lokomotiven entwickelt wurde. Jeder Radsatz wird von einem Drehstrom-Asynchronmotor mit 1,6 MW Dauerleistung angetrieben. Ritzel und Großrad des Getriebes bilden mit dem Fahrmotor und der Bremswelle eine kompakte Antriebseinheit mit Hohlwellen­Gummigelenkkardanantrieb. Vom Großrad des Getriebes wird das Drehmoment über eine Hohlwelle und zwei mit Sphärolastiklagern ausgestattete Lenkkupplungen auf den Radsatz übertragen.

Der elektrische und magnetische Kreis des Motors ist auf hohe Leistungsanforderungen und einen hohen Wirkungsgrad dimensioniert. Die hohe Taktfrequenz der Wechselrichter sowie die Verwendung optimierter Pulsmuster reduzieren die thermischen Verluste im Fahrmotor. Die Bremsausrüstung ist für jeden Radsatz separat ausgebildet und im Antriebssystem integriert. Sie besteht aus zwei Kompaktbremszangen mit Bremszylinder, Belaghalter und Federspeicher sowie zwei ungeteilten Wellenbremsscheiben, die auf einer separaten Bremswelle angebracht sind. Diese ist auf einer Seite am Getriebeausgang über eine Bogenzahnkupplung angeflanscht. Zusammen mit den Bremsscheiben lässt sie sich ohne Demontage anderer Komponenten unter der Lokomotive ausbauen. Damit lässt sich ein Bremsscheibenwechsel mit geringem Arbeits- und Zeitaufwand durchführen.

 

 

2.6 Leit- und Steuerungstechnik

 

Die Leittechnik ist gekennzeichnet durch eine klare Strukturierung unter Verwendung von standardisierten Komponenten. Sie erfüllt alle Steuerungs-, Regelungs- und Diagnoseaufgaben mit einem optimalen Verhältnis zwischen Aufwand und Nutzen. Es werden die Vorgaben vom bedienten Führerstand an die betroffenen Subsysteme weitergeleitet und dort die erforderlichen Stellglieder betätigt. Weiterhin werden die Diagnosemeldungen der Subsysteme durch die Steuergeräte erfasst, weiterverarbeitet und am Farbdisplay im Führerstand angezeigt.

Wesentliche Bestandteile der Leittechnik sind die Zentralen Steuergeräte (ZSG) und die Antriebssteuergeräte (ASG). Für diese Aufgabe werden Mikrocomputersteuergeräte des Bahnautomatisierungssystemes SIBAS 32 mit 32­Bit-Rechnern eingesetzt. Erstmals wird eine Lokomotive mit beiden nach IEC 9/413/CDV definierten Bussystemen, dem Zugbus Wire Train Bus (WTB) und dem Fahrzeugbus Multifunction Vehicle Bus (MVB), ausgeführt. Der MVB übernimmt den Datenaustausch innerhalb der Lokomotive. Der WTB ermöglicht den Datenaustausch innerhalb des gesamten Zuges gemäß dem Fernsteuerkonzept der OBB für Wendezugbetrieb und Mehrfachtraktion.

Für die Zweifrequenzvariante ist zusätzlich das Zugbeeinflussungssystem EVM 120 der Ungarischen Staatsbahn (MAV) integriert.

 

 

3 Mechanischer Teil

 

3.1 Allgemeines

 

Der mechanische Teil der Rh 1016/1116 von Krauss-Maffei Verkehrstechnik ist eine Weiterentwicklung des Lokomotivkastens der BR 152 sowie des Hochgeschwindigkeits-Drehgestells des EuroSprinters mit HAB. Das Drehgestell wurde zusammen mit Siemens SGP entwickelt. Bei der Gesamtkonstruktion wurde durch eine Reihe von Innovationen das Ziel verfolgt, über den Auftrag der ÖBB hinaus zukunftsorientiert und ausbaufähig zu sein. Der mechanische Teil von Rh 1016 und Rh 1116 ist identisch ausgeführt, so dass eine Rh 1016 mit vertretbarem Aufwand zu einer Rh 1116 aufgerüstet werden kann. An einigen Stellen wurden hierzu bei beiden Lokomotivreihen Befestigungsmöglichkeiten und Einbauräume für die Mehrfrequenzkomponenten vorgesehen, die allerdings nur bei der Rh 1116 genutzt werden. Dennoch wird durch die identische Ausführung gesamtwirtschaftlich ein Kostenvorteil erzielt.

 

 

3.2 Design und Aerodynamik

 

Aufgrund 230 km/h Höchstgeschwindigkeit musste gegenüber der BR 152 eine aerodynamisch verbesserte Kopfform gefunden werden. Hierzu wurden in der frühen Entwicklungsphase die gestalterische Optimierung durch ein Designbüro in enger Zusammenarbeit mit dem Auftraggeber und die aerodynamische Optimierung durch Computational-Fluid­Dynamics-(CFD)-Analysen eng miteinander verzahnt. Randbedingungen wie die möglichst weitgehende Vermeidung von zweidimensional gekrümmten Flächen mussten aus Kostengründen eingehalten werden.

Ergebnis ist eine Kopfform, die sowohl durch ihre unverwechselbare und charakteristische Form besticht als auch sich durch niedrige Druckbeiwerte auszeichnet. Durch Großversuche mit anderen Fahrzeugen abgesicherte Berechnungen zeigen, dass die Druckwelle bei einer schnellen Vorbeifahrt deutlich geringer ausfallen wird als bei der BR 120 der DB.

 

 

3.3 Lokomotivkasten

 

3.3.1 Führerraumrohbau

Parallel zur Entwicklung der äußeren Gestaltung der Kopfform wurde eine funktional und kostenoptimierte Bauweise des Führerraums erarbeitet. Die großflächigen zylindrisch gekrümmten Oberflächen vorne und seitlich bilden zusammen mit einem massiven Rammträger und Seitenfenstereinfassungen in Form eines Überrollbügels einen steifen Verbund in Stahlbauweise. Er dient zur Aufnahme aller wesentlichen Belastungen auf den Lokomotivkasten. Dieser Verbund ist auch ohne die zusätzliche Tragwirkung der GFK­Teile selbsttragend. In GFK werden nur die Bereiche gestaltet, deren Oberflächen mehrfach gekrümmt sind. Dies sind die Eckbereiche der Scheinwerfereinfassungen sowie die Dachhaube des Führerraums. Erstere sind in einfacher Schalenbauweise, letztere ist als dickwandiger Sandwich-Aufbau ausgeführt. Bei beiden Teilen wurde die kostengünstige Integrationsmöglichkeit bei GFK-Teilen genutzt. So sind beispielsweise Scheinwerfereinfassungen, Regenrinnen, Schall- und Wärmeisolation, Innenverkleidung integrale Bestandteile. Die GFK­Dachhaube bildet die obere Fenstereinfassung der Frontscheiben und ist mit hohen Sicherheitsreserven zur Aufnahme aller Luftkräfte und der geforderten Lasten nach UIC 651 dimensioniert. Die Frontscheibe ist zur Vereinfachung der Instandhaltung zweiteilig. GFK­Dachhaube und Frontverglasung werden erst in einem der letzten Montageschritte angebracht, Führertisch und Rückwandschränke vorteilhaft mit Hilfe eines Krans montiert.

Die Innenausstattung und das Bedienkonzept der Rh 1016/1116 orientieren sich weitgehend an der BR 152. Eine weitere Komfortverbesserung konnte beispielsweise durch den luftgefederten, jetzt pneumatisch höhenverstellbaren Fahrersitz erreicht werden. Die großflächigen, pneumatisch ausklappbaren Außenspiegel dienen in Österreich vor allem der Zugbeobachtung gemäß den dort geltenden Betriebsvorschriften.

 

3.3.2 Kastenrohbau

Der Lokomotivkasten in integraler Ganzstahlbauweise übernimmt die Systemmaße und die grundsätzliche Bauweise der Euro­Sprinter-Familie. Gegenüber der BR 152 sind sowohl Struktur als auch Anbauteile stark auf Leichtbau hin optimiert worden, um die geringe Gesamtmasse der Lokomotive von 85 t im Zusammenspiel mit den deutlich schwereren Drehgestellen mit vollabgefedertem Antrieb realisieren zu können. In vielfachen Optimierungsdurchläufen wurden für alle Bauteile der optimale Werkstoff hinsichtlich Funktion, Leichtbau und Fertigungskosten und die optimale Gestalt ermittelt. Zahlreiche Anbauteile wie die Dachelemente, alle Türen, Batteriekästen, Sandkästen und Schneeräumer sind in Aluminium ausgeführt. Das Schwingungsverhalten des Lokomotivkastens wurde trotz Leichtbau durch eine spezielle Kastenquerschnittsversteifung und durch eine neuartige Dachanbindung weiter verbessert.

Auch bezüglich der Längenverhältnisse mussten Nachteile durch die aufgrund der zusätzlichen Bremswelle längeren Drehgestelle und den etwas längeren Transformator kompensiert werden. Dies erfolgte unter anderem mittels neuartiger, im Kopfstück integrierter Sandkästen.

Die Fertigung einzelner Komponenten des Rohbaus erfolgt in Werkstätten der ÖBB TS. Diese werden beim Hersteller des mechanischen Teils mit den Großbauteilen zu Lokomotivkästen zusammengefügt. Die Endmontage erfolgt wiederum bei ÖBB TS. Für diese Aufgabenteilung ist es unerlässlich, dass Konstruktion und Ablauforganisation größten Wert auf Qualität und Vermeidung von Nacharbeiten legen. Hierzu gehört neben einem Höchstmaß an Systematik bei der Schnittstellendefinition auch die gegenüber Fertigungsfehlern tolerante Konstruktion, die schon bei der BR 152 erfolgreich angewendet wurde.

Die Dimensionierung des Lokomotivkastens wurde erstmals auf die in der EN 12663 enthaltenen speziellen Anforderungen für Lokomotiven ausgerichtet. Darüber hinaus wurde insbesondere die Leistungsfähigkeit der Konstruktion bei Überschreitung der dort spezifizierten Lasten optimiert.

Neuentwickelte, patentierte Hochleistungs-Crashelemente absorbieren sehr hohe Energiebeträge von mehr als 1 MJ bei einem Unfall. Zwischen gleichartigen Fahrzeugen bleiben die Beschädigungen bei bis zu 40 km/h Aufprallgeschwindigkeit fast ausschließlich auf die Crashelemente begrenzt. Die Elemente sind preisgünstig zu beschaffen und durch Schraubbefestigung am Kopfstück schnell tauschbar. Da die Energieaufnahme bei einem außergewöhnlich niedrigen Kraftniveau erfolgt, werden die elektrischen Einbauten zuverlässig vor Folgeschäden geschützt. Schäden an den Drehzapfen oder der Transformatoraufhängung werden durch entsprechende Dimensionierungsreserven vermieden. Auch Altbaulokomotiven und Waggons profitieren bei Kollisionen vom geringen Verzögerungskraftniveau.

Bei Kollisionen mit kleineren Hindernissen wurde die Sicherheit ebenfalls verbessert. Der großflächige und stark gepfeilte Schneeräumer deformiert bei Überlast gezielt eine zum Patent angemeldete Crashbox. Dabei werden nach unten gerichtete Deformationen verhindert und die Entgleisungsgefahr verringert. Sowohl die höhenverstellbaren Schaufeln des Schneeräumers als auch die Crashbox sind im Schadensfall durch Schraubbefestigung einzeln tauschbar. Die Crashbox fungiert gleichzeitig als Befestigungsbasis für die LZB-Antenne und das ungarische Streckensicherungssystem.

Dem am Lokomotivkasten befestigten Schneeräumer ist am Drehgestell ein bis 100 mm über Schienenoberkante tief einstellbarer Schienenräumer nachgeschaltet, der die Gesamtbreite des Gleises abdeckt. Dieser räumt Schnee, Eis oder kleinere Hindernisse unter anderem zum Schutz der tiefliegenden Radsatzwellen der Wagen der rollenden Landstraße.

 

 

3.4 Drehgestell

 

3.4.1 Lauftechnische Auslegung

Entsprechend dem Einsatzbereich der Lokomotiven Rh 1016/ 1116, der sowohl auf europäischen Hochgeschwindigkeitsstrecken als auch auf bogenreichen Alpenstrecken und Strecken geringerer Gleisqualität liegen soll, musste ein Kompromiss bei der Auslegung des Fahrwerks gefunden werden.

Die Basis hierfür stellt das im EuroSprinter als Prototyp eingesetzte HAB-Drehgestell dar. Es bringt ideale Voraussetzungen für ein komfortables Laufverhalten durch seine geringen unabgefederten Massen mit. Durch die vollabgefederte Antriebs- und Bremseinheit reduziert sich die unabgefederte Masse eines Radsatzes gegenüber dem Tatzlagerantrieb der BR 152 um 32 %. Die Verlagerung von Massen hin zu höheren Federungsebenen wurde bei der Rh 1016/1116 konsequent fortgeführt. So wurde durch die Sekundärfederqueranordnung der Drehgestellrahmen von Torsionsbelastungen im Langträger und von Biegebelastung im Querträger befreit. Dies ermöglichte zum einen eine weitere Massereduktion des Drehgestellrahmens. Zum anderen war dies eine der Voraussetzungen für eine Tieferlegung des Kraftübertragungspunktes zwischen Drehgestellrahmen und echtem Drehzapfen gegenüber den sonstigen Lokomotiven der Euro­Sprinter-Familie. Mit nur 420 mm über Schienenoberkante liegt dieser Punkt ausgesprochen tief.

Der Preis für die Tieferlegung des Anlenkpunktes und die reduzierte Komplexität des Drehgestellrahmens war ein höherer Aufwand in der Konstruktion des Lokomotivkastens infolge der Sekundärfederausschnitte und der höheren eingeleiteten Momente am Drehzapfen. Begünstigt wurde dies aber dadurch, dass die Lasten wegen ihres geringer ausgeprägten dynamischen Charakters im Lokomotivkasten besser beherrschbar sind als im Drehgestell.

Die wichtigste Neuerung beim Drehgestell ist die einseitige Radsatzanlenkung. Sie ermöglicht einen passiven Effekt der Radialeinstellung, der sich auf bogenreichen Strecken positiv auf Laufverhalten und Verschleiß auswirkt. Dies wurde durch einen Lenker mit Dreieckanbindung und eine spezielle Aufteilung der Steifigkeit auf Gummi-Metall-Teile und Primärfedern möglich. Die Konstruktion erlaubt es, das Fahrwerk durch einfache Modifikation einzelner Bauteile an andere Fahrdynamikauslegungen anzupassen. Neben der prinzipiell einfacheren Ausführung trägt diese Technik der Radsatzanlenkung maßgeblich zur Massereduktion des Drehgestells und durch die geringere Teilezahl auch zur Senkung der Fertigungskosten bei.

Die Dimensionierung von Drehgestell und Anlenkung erfolgt nach UIC 615-4. Darüber hinaus wurde Dauerfestigkeit mit hoher Sicherheit für dynamische Antriebs- und Bremskräfte zum Ziel gesetzt. Außerdem wurde ein Versagensverhalten bei Überlasten in folgender Reihenfolge konzipiert:

  1. Crashelemente am Lokomotivkasten
  2. Anlenkbauteile
  3. Drehzapfen

Das Versagen findet jeweils unter plastischer Deformation und Vermeidung von Bruch statt. Die Gestalt des Drehgestellrahmens sowie aller Bauteile einschließlich der Anlenkung und des Drehzapfens wurden bezüglich dynamischer Lasten optimiert. Der Drehzapfen ist als Gussteil aus einem Stück ausgeführt und wird in einem speziellen Ausbohrverfahren hergestellt, welches Lunkerfreiheit bei vertretbaren Fertigungskosten gewährleistet.

 

3.4.2 Drehgestellrahmen

Entsprechend oben genannten Konzeptgrundsätzen konnte der Drehgestellrahmen gegenüber dem Basisdrehgestell aus dem Euro­Sprinter geometrisch erheblich vereinfacht werden. Kopfquerträger und Mittelquerträger schließen am stark gekröpften Langträger niveaugleich an. Die Sekundärfedern stehen ohne seitlichen Versatz direkt auf den Langträgern. Die Querdämpfer sind durch ihre neuartige Anordnung am Kopfträger besser zugänglich und tragen auch zur Drehdämpfung bei. Alle Dämpferanbindungen an Lokomotivkasten und Drehgestell konnten vereinfacht werden, wobei die großen dynamischen Auslegungsreserven erhalten blieben.

Bei der Konstruktion wurden die besonderen Anforderungen berücksichtigt, welche durch das Positionieren und Schweißen von Baugruppen durch Roboter entstehen. So konnte die wirtschaftliche Fertigung des Hochleistungs-Drehgestells sichergestellt werden.