Gianni Frizzo – der Fall einer Ikone

 

Gianni Frizzo war erfolgreicher SBB-Cargo-Streikführer. Jungen Tessinern galt er als Che Guevara der Südschweiz. Doch vor Kurzem wurde er aus dem Vorstand der Gewerkschaft Unia abgewählt. Im Tessin gehen die Wogen hoch.

 

Foto: Unia

Mit seinen bunt karierten Flanellhemden und seinem grauen Bart stieg Gianni Frizzo zum Helden auf. Als Streikführer im Arbeitskonflikt um die SBB-Werkstätten von Bellinzona vor einem guten Jahr heizte er seinen Kollegen vom Podium mit dem Sprechchor «Giù le mani dalle officine!» (Hände weg von den Werkstätten!) ein, bei Demonstrationen in Bellinzona und Bern gab er den Ton an. Er verhandelte mit Bundesrat Moritz Leuenberger, der SBB-Leitung und sass später mit Franz Steinegger am runden Tisch. Bei jungen Tessinern erreichte er Kultstatus – sozusagen als Che Guevara der Südschweiz. In den Medien war Frizzo omnipräsent.

Abgewählt an der Versammlung
Doch jetzt hat der Glanz Risse bekommen. Ausgerechnet seine Genossen in der kämpferischen Gewerkschaft Unia, die den Streik massgeblich mitorganisiert hatte, haben den 53-jährigen Frizzo aufs Abstellgleis gestellt. Er wurde als Präsident der Unia-Sektion Bellinzona und Misox bei der Jahresversammlung abgewählt – zusammen mit vier weiteren Mitgliedern des ehemaligen SBB-Cargo-Streikkomitees. Frizzo erhielt nur 43 Stimmen, mindestens 98 wären zur Wahl notwendig gewesen.

Seither gehen die Wogen hoch. Die abgewählten SBB-Arbeiter sprechen von Wahlmanipulation und undemokratischer Beeinflussung der Mitglieder. 10 Fragen hat man der Unia-Leitung gestellt, die bisher nicht beantwortet wurden. Linke SP-Vertreter, Grüne und SBB-Arbeiterfrauen protestierten. Eine externe Kommission untersucht die Vorfälle, während die Unia versuchte, Frizzo eine Hintertür zu öffnen. Durch den Rücktritt eines neu gewählten Vorstandsmitglieds wollte man einen Platz zum Nachrücken frei machen. «Gianni Frizzo ist in der Unia willkommen», titelte die Gewerkschaft eine Medienmitteilung. Der gedemütigte Frizzo lehnte ab.

Zu stark auf SBB fixiert
Die Fragen um das Wahlprozedere lenken indes von den eigentlichen Problemen ab. In Wahrheit geht es darum, dass Frizzo & Co. vorgeworfen wurde, sich einzig um die Officine zu kümmern. Wichtige Sektoren wie die Baubranche oder der Detailhandel fühlten sich von ihm nicht vertreten. Auch Neid, der vor einem Jahr während des Streiks und im Zeichen der Solidarität unter dem Deckel blieb, machte sich breit. Denn Arbeiter aus der Privatwirtschaft halten SBB-Angestellte eigentlich für Privilegierte.

Streit unter den Linken
Dazu kommt ein politischer Konflikt. Die ehemaligen Streikführer stehen alle der linken Bewegung für Sozialismus (BFS) nahe. Das missfällt der sozialdemokratisch dominierten Gewerkschaft. Die ewige Auseinandersetzung zwischen gemässigten und radikalen Kräften in der Linken flammt auf. Für den Tessiner Alt-Nationalrat Franco Cavalli (SP) ist der Konflikt um die Abwahl von Gianni Frizzo daher weit mehr als eine gewerkschaftsinterne Streitigkeit: «Auch innerhalb der SP scheint die Stimmung zu kippen. Es gibt eine Auseinandersetzung zwischen rechten und linken Sozialdemokraten», sagte er der «Wochenzeitung». Cavalli hat selber nie einen Hehl daraus gemacht, dass er die offizielle SP-Politik für «verschlafen» hält. Und Frizzo? Verschiedene linke Tessiner Politiker verlangten in einem offenen Brief an die Unia, dass die Wahl des Unia-Vorstands wiederholt werde. Affaire à suivre.