Viareggio: Schlimmstes Unglück der italienischen Eisenbahn seit Jahren

Nächtliches Flammeninferno in toskanischem Urlaubsort: Mindestens 16 Menschen sind bei der Explosion eines Flüssiggas-Güterwagens in Viareggio nordwestlich von Pisa ums Leben gekommen.

36 Menschen erlitten schwere Verletzungen, wie das städtische Behandlungszentrum (Asl) mitteilte. 15 Menschen schwebten in akuter Lebensgefahr mit Verbrennungen von mehr als 90 Prozent der Körperoberfläche. Der Unfall ereignete sich kurz vor Mitternacht. "Es handelt sich um eines der schlimmsten Eisenbahnunglücke in Italien", sagte der Chef des italienischen Zivilschutzes, Guido Bertolaso, am Unglücksort.

Mehrere benachbarte Wohnhäuser der im Zentrum des Ortes liegenden Bahnstation stürzten ein, etwa 1000 Menschen wurden in Sicherheit gebracht. Die Zahl der Opfer wird nach Angaben von Feuerwehr und Präfektur wahrscheinlich noch steigen. Vier Menschen werden noch vermisst. "Die Gefahr ist noch nicht vorüber", warnte Bertolaso. "Es liegen noch 13 Gasbehälter mit jeweils 30 Kubikmeter Flüssiggas auf den Schienen, vier davon umgekippt. Die Zisternen müssen entleert werden. Das ist eine hochgefährliche Situation", sagte Bertolaso.

Der Bürgermeister von Viareggio, Luca Lunardini, sprach von "apokalyptischen Szenen". Augenzeugenberichten im italienischen Fernsehen zufolge hatte sich der Bahnhof binnen weniger Minuten in eine Feuerhölle verwandelt. Beobachter berichteten, am Bahnhof vorbeifahrende Autos und Motorroller samt ihren Fahrern hätten sich in glühende Kohlen verwandelt.

Experten nehmen an, dass der Bruch einer Wagenachse die Katastrophe möglicherweise verursacht hat. Die Vorderachse habe bei der Durchfahrt des Zuges mit insgesamt 14 Wagen nachgegeben. "Infolge des Schadens ist der Wagen entgleist und Flüssiggas ausgetreten, das dann im Kontakt mit der Luft zu einer Gaswolke geworden ist. Ein Funke könnte die gewaltige Explosion verursacht haben", erklärte Sergio Basti, Ingenieur und Leiter der zentralen Notfallstelle der Feuerwehr. Der Unfall sei nicht auf überhöhte Geschwindigkeit zurückzuführen: Der Zug habe den Bahnhof mit einem Tempo von etwa 90 Stundenkilometern und damit vorschriftsmässig passiert.

 

 

Mehr zum Thema: Katastrophe mit Ansage

Seit Jahren werden Sicherheitsprobleme bei der Bahn ignoriert, kritisiert die Gewerkschaft der Eisenbahner nach dem Unglück in Viareggio.

Die schreckliche Konsequenz: 15 Tote und 50 meist Schwerverletzte.

30 Personen werden noch unter den Schutthalden vermisst. In dem Trümmerfeld, das bis gestern kurz vor Mitternacht noch Wohnhäuser entlang der Bahngleise waren, sind 15 Menschen ums Leben gekommen. Am Morgen schlagen die Hunde an, berichtet die Internetseite der italienischen Tageszeitung La Repubblica - in einem halb eingestürzten Wohnhaus finden die Suchenden einen kleinen Jungen, der mit seiner fünfköpfigen Familie in dem Haus gewohnt hat. Er liegt in seinem Bett, ist leicht verletzt, kann auf die Fragen der Retter antworten.

Anderen Helfern bieten sich schreckliche Bilder: In einem vor den Häusern geparkten und völlig ausgebrannten Renault Scenic finden die Feuerwehrmänner die Leiche eines kleinen Kindes, festgeschnallt in seinem Kindersitz. Das Kind war vermutlich in seinem Sitz eingeschlafen, die Eltern ließen es dort sitzen und hielten sich mit ihrem zweiten Kind im Garten auf. 

Die Gefahr an der Unglücksstelle ist noch nicht gebannt: Zwar sei das Feuer inzwischen eingedämmt, es bestehe aber die Gefahr, dass sich noch weitere Kesselwagen entzündeten, sagen die Sicherheitskräfte. 1000 Menschen wurden in Sicherheit gebracht.

"Schnelligkeit statt Sicherheit"
Als Unglücksursache nehmen die Verantwortlichen der staatlichen Eisenbahnen (Ferrovie dello Stato) mittlerweile an, dass einer der mit Flüssiggas geladenen Waggons entgleist sei, wodurch vier weitere Waggons aus den Gleisen gesprungen seien. Dadurch wiederum sei Gas aus den Tankwaggons ausgetreten, das sich schließlich entzündet habe. Es sei also nicht zu einer Explosion des ersten Wagens gekommen, wie zuerst angenommen. Warum der erste Waggon allerdings entgleist ist, ist noch unklar.

Die Gewerkschaft der Eisenbahner übt heftige Kritik an der Führungsriege der Bahn: In einer Stellungnahme der Eisenbahner heißt es laut der Repubblica: "Der Bruch einer Waggon-Achse eines solchen Gefahrentransports ist nie angemessen in Betracht gezogen worden, obwohl das Risiko sehr wohl bekannt war. Unfälle wie dieser sind unzählige Male passiert, zuletzt erst vor ein paar Tagen in Pisa S. Rossore." Jedes Mal seien die Unfälle glimpflich ausgegangen, doch Konsequenzen seien keine gezogen worden.

Grund dafür sei eine falsche Priorotätensetzung, heißt es in der Stellungnahme weiter: "Der Bahntransport ist ein komplexer Service, in dem auch der kleinste Ausfall größte Tragödien verursachen kann - und als solcher muss auch der kleinste Vorfall größte Bedeutung haben und genau untersucht werden. Wir erneuern unsere harte Kritik an der Führung der Bahn, die Ressourcen und Technologien nur darauf ausgerichtet hat, prestigeträchtige Hochgeschwindigkeitsprojekte zu verwirklichen, während sie den Rest der Eisenbahn, vor allem Güter- und Pendelzüge, verkümmern lassen haben, sei es in Bezug auf Qualität wie auch in Bezug auf Sicherheit."

Auch in Viareggio melden sich die Anwohner, denen die Nähe zu den Gleisen schon lange nicht mehr geheuer ist: "Seit Jahren fordern wir eine Schutzwand", sagen Anwohner des Straßenzugs Largo Risorgimento einer Reporterin der Repubblica. Ihre Häuser stehen nur wenige Meter von den Gleisen entfernt. 50 Menschen wohnen in diesen drei Palazzi. "Ich hatte im dritten Stock das Fenster offen und hatte auf einmal eine Feuerwand vor mir", erzählt eine Anwohnerin. "Wir haben schon oft darauf hingewiesen, dass es hier ein Problem mit der Sicherheit gibt", erzählt ein anderer, "nicht nur wegen der Gleise, sondern auch wegen der ganzen Lastwagen, die hier immer parken. Auch gestern stand hier wieder ein Tanklastzug. Dessen Motor hat auch schon gebrannt, der Tank zum Glück nicht, sonst wäre hier noch viel mehr passiert.“

Der italienische Transportminister, Altero Matteoli, hat eine Untersuchungskommission eingesetzt, Innenminister Roberto Maroni ist auf dem Weg an die Unglücksstelle.

 

 

Mehr zum Thema: Gefahrguttransporte auf der Schiene

Medienmitteilung vom Bundesamt für Verkehr - siehe auch "Bahnonline"

 

Im Zusammenhang mit dem Gefahrgutunfall in Viareggio (Italien) und zahlreichen Medienanfragen hält das Bundesamt für Verkehr (BAV) folgendes fest:

Mit verschiedenen Massnahmen werden in der Schweiz die Risiken von Gefahrguttransporten auf der Schiene minimiert. Dazu gehören Massnahmen bei der Infrastruktur, am Rollmaterial und bei den Betriebsabläufen.

Namentlich weist das Schweizer Eisenbahnnetz in regelmässigen Abständen sogenannte Heissläuferortsungsanlagen auf. Diese Detektoren können rechtzeitig überhitzte Räder und Bremsen orten. So können problematische Räder und Achsen entdeckt werden, und eine Entgleisung kann verhindert werden.

Weitere Massnahmen sind am Rollmaterial ergriffen worden, das sich in Schweizer Besitz befindet. Dazu gehören Entgleisungsdetektoren an Kesselwagen, die bei einer Entgleisung automatisch eine Bremsung einleiten. Weiter wurden die Kesselwände von Wagen, mit denen besonders gefährliche Güter wie z.B. Chlor transportiert werden, verstärkt und spezielle Puffer eingeführt

Bei internationalen Transporten müssen die für den Transport in der Schweiz verantwortlichen Eisenbahn-Verkehrsunternehmen die Güterzüge vor der Durchfahrt durch die Schweiz technisch überprüfen. Im Weiteren führen die Schweizer Infrastrukturgesellschaften Kontrollen von Güterzügen durch. Als Aufsichtsbehörde überprüft auch das BAV stichprobenartig Güterzüge.

Rechtlich werden Gefahrguttransporte auf der Schiene durch die Ordnung für die internationale Eisenbahnbeförderung gefährlicher Güter (RID) geregelt. Für den Ereignisfall sind die Wagen beschriftet, so dass die Einsatzkräfte über die Art der transportierten Stoffe informiert sind. Die Transporte gefährlicher Güter werden mit Hilfe des Cargo Informationssystems (CIS) schweizweit erfasst. Die Einsatzkräfte können im Ereignisfall mit Hilfe des CIS rasch über die notwendigen Informationen zu den transportierten Stoffen verfügen.

Das BAV hat im Jahr 2006 zusammen mit SBB und BLS ein sogenanntes Screening bezüglich Personenrisiken bei Gefahrguttransporten durchgeführt. Dank den oben beschriebenen Massnahmen (Ortungsanlagen, Entgleisungsdetektoren, Verbesseret Schutz der Kessel) sank das Risiko eine Störfalls mit Personenschäden gegenüber dem Jahr 2001 deutlich. In der Schweiz gibt es heute keine Bahnstrecke, auf der das Risiko im nicht akzeptablen Bereich liegt.